Beim letzten Mal haben wir die Brüder auf die zweite Reise nach Ägypten begleitet. Wir haben gesehen, wie sich der erste Traum von Joseph mit den Ähren erfüllte und sich alle 11 Brüder vor ihm verbeugten. Er hieß sie willkommen, lud sie zu einem Festessen ein, bei dem er Benjamin deutlich bevorzugte. Später ließ er seinen wertvollem Becher in Benjamins Sack packen und ihnen nachjagen. Sie wurden beschuldigt, seinen wichtigen Becher geklaut zu haben und bekamen nun eine gute Chance, den zweiten Lieblingssohn des Vaters unauffällig zu entsorgen. Würden sie diese Chance nutzen oder hatten sie sich wirklich geändert?
Wir lesen weiter in 1. Mose 44:16 bis 45:28
Warum hatte er diese Spielchen mit ihnen gespielt? Hatte er ihnen nun vergeben oder nicht?
Es ist garnicht so einfach, nach so einem großen Vertrauensbruch wieder zur Tagesordnung überzugehen. Immerhin hatten sie ihn hinterrücks überfallen, wollten ihn töten und hatten ihn dann in die Sklaverei verkauft (Kapitel 37), das war keine Bagatelle. Er hatte ihnen zwar vergeben, aber bevor er wieder eine enge Beziehung mit ihnen eingeht, will er erst mal sicher sein, dass sie sich geändert haben.
Wir befinden uns also in der Wüste, sehen die Brüder auf dem Heimweg, als der Bedienstete vom Machthaber ihnen nachjagt, sie des Diebstahls beschuldigt und der Becher bei Benjamin gefunden wird. Die Indizien sprechen gegen Benjamin, obwohl sich die Brüder absolut nicht vorstellen können, dass ausgerechnet dieser etwas gestohlen haben sollte. „Wie sollen wir uns rechtfertigen?“, fragt Juda. Alles spricht gegen Benjamin.
„Juda antwortete: »Was sollen wir jetzt noch zu unserer Verteidigung vorbringen? Es gibt nichts, womit wir uns rechtfertigen könnten. Gott hat eine Schuld von uns bestraft. Darum sind wir alle deine Sklaven – nicht nur der, bei dem dein Becher gefunden wurde!«“ 1. Mose 44:16 HFA
Von welcher Schuld (oder „Missetat“ laut Elberfelder) ist hier die Rede? Spricht Juda hier von dem Kelch? Sie wussten doch garnicht, dass jemand den geklaut hatte, waren sich keiner Schuld bewusst. Auf welche Schuld bezieht er sich dann hier?
Ihnen schlägt immer noch das Gewissen. Scheinbar bereits, seit sie nach Ägypten aufgebrochen sind, denn bereits als sie im Gefängnis saßen wegen Spionage, waren sie der Ansicht, dass Gott sie für das, was sie mit Joseph getan hatten, bestrafen würde und auf dem Heimweg zurück zum Vater, als sie das Geld in einem der Säcke sehen, fragen sie „was hat uns Gott da getan!“ (Kapitel 42:21, 26).
Wir lesen Kapitel 44, die Verse 18 bis 34
Juda hat hier eine sehr gute Argumentation. Er hätte ja nun auch zornig werden können, denn sie hatten ja nichts gestohlen. Aber er ist demütig und ehrlich. Luther sagte mal dazu „so will ich vor meinen Gott treten können“
Worum bittet Juda hier den Machthaber? Um Vergebung? Nein, er selbst will für Benjamin büßen – und das, nachdem Joseph diesen ganz eindeutig bevorzugt hatte (Vers 33).
Für wen legt er hier Fürsprache ein – für Benjamin oder für Jakob? Er konzentriert sich auf den Vater, der bereits einen Lieblingssohn verloren hatte und der sich grämen und es nicht überleben würde, wenn Benjamin nun auch nicht wieder kommt.
Jakob hatte seine Kinder also nicht falsch erzogen. Joseph harrte viele Jahre unschuldig im Gefängnis aus und Juda will sich hier für Benjamin opfern, damit sein Vater nicht an seiner Trauer zugrunde geht.
Wie reagiert Joseph nun darauf? Wir lesen weiter in Kapitel 44 die Verse 1 bis 15
Joseph ist so bewegt, dass er alle bis auf die Brüder raus schickt und weint – und zwar so laut, dass man es draußen hören kann (Vers 2).
Aber warum fragt er ein weiteres Mal nach dem Vater? Und warum sind die Brüder derart bestürzt, dass sie nicht reden können?
In der Fußnote von Vers 2 lesen wir, dass die Brüder „vor Joseph zurück schraken“. Wie würden wir denn reagieren, wenn auf einmal die Tür aufgeht und derjenige herein kommt, von dem wir gerade geredet haben? Immerhin hatten sie gerade wieder gesagt, ‚dass Gott ihre Missetat aufgedeckt hätte‘, womit sie sich darauf bezogen, was sie mit dem unschuldigen Joseph vor über 22 Jahren angestellt hatten. Und nun gibt der Machthaber sich ihnen hier als dieser Joseph zu erkennen. Würde er sich nun an ihnen für das rächen, was sie ihm angetan hatten?
Aber wie reagiert Joseph und wie begründet er die Tatsache, dass er nun in Ägypten ist?
„»Ich bin Josef!«, sagte er zu seinen Brüdern. »Lebt mein Vater noch?« Fassungslos standen die Brüder vor ihm. Sie brachten keinen Ton heraus. »Kommt doch näher!«, sagte Josef. Sie traten zu ihm, und er wiederholte: »Ich bin euer Bruder Josef, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Aber ihr braucht euch nicht zu fürchten. Macht euch keine Vorwürfe, dass ihr mich hierher verkauft habt, denn Gott wollte es so! Er hat mich vorausgeschickt, um euch zu retten. Schon seit zwei Jahren hungern die Menschen, und auch in den nächsten fünf Jahren wird man kein Feld bestellen und keine Ernte einbringen können. Gott hat mich euch vorausgesandt, damit ihr mit euren Familien am Leben bleibt. Denn er will ein großes Volk aus euren Nachkommen entstehen lassen. Nicht ihr habt mich hierhergeschickt, sondern Gott! Er hat mir diese hohe Stellung gegeben: Ich bin der Berater des Pharaos und der Vorsteher seines Reiches. Ganz Ägypten hört auf das, was ich sage.“ 1. Mose 45:3-8 HFA
Sie sollten nicht jammern, sondern froh sein, dass Gott ihn vor ihnen hergesandt hatte. Dies erinnert an das zweite Lied, dass wir zur Einstimmung gesungen hatten:
Chorus
„Doch was, wenn durch Regen erst der Segen,
wenn erst durch Tränen Heilung kommt?
Was, wenn erst tausend wache Nächte
mir dann zeigen: Du bist da!
Wenn im Leid in Wirklichkeit
vielmehr deine Gnade wohnt?“
(Aus „Wir beten für Segen“)
Regen ist nicht immer schön – besonders nicht, wenn Thom die ganze Nacht im strömenden Regen Zeitungen austragen muss ? – aber Regen ist für eine gute Ernte nötig
Joseph ist nicht sauer auf sie, er hatte erkannt, dass diese Zeit nötig war, um ihn auf seine jetzige Aufgabe und Stellung vorzubereiten, daher sagt er, dass Gott ihn in Wirklichkeit vor ihnen her geschickt hat.
Auch wir kommen immer wieder in Situationen, wo wir denken, wir könnten nicht mehr, aus denen wir am liebsten fliehen würden. Hier können auch wir uns sagen „Gott hat irgendwas mit mir vor, worauf er mich jetzt in, mit und durch diese Situation vorbereitet“.
Wir haben schon öfters davon erzählt, wo das bei uns der Fall war. Natürlich ist so eine Situation nicht schön, man möchte da raus und in dem Moment verstehen wir nicht, wozu es gut sein soll. Aber im Nachhinein erkennen wir dann, warum wir durch diese schlimme Zeit durch mussten.
In solchen Situationen neigen wir dazu, darum zu beten, dass Gott die Situation verändert. Aber wir sollten besser um die Kraft und Geduld bitten, um in dieser Situation zu bestehen.
Vor 1,5 Jahren habe ich in der Bibelschule „Word des Lebens“ ein Buch empfohlen bekommen, das genau dies zum Thema macht: „Alles anders, aber wie?“ von Timothy S. Lane und Paul D. Tripp. Hier geht es darum, dass es nicht die Situation ist, die sich ändern muss, sondern unsere eigene innere Einstellung. Die Probleme sind nicht das Schlimme, sie sind nur ein Anstoß und offenbaren unsere innere Einstellung. Wenn man das Prinzip begriffen hat, kann man in jeder Situation ausharren und die Probleme als Herausforderung ansehen, die uns im Glauben wachsen lassen.
Genau dies ist das, was mich an meiner geliebten Oma so fasziniert hatte. Sie hat alles „als von Gott“ angenommen. Sie hat nicht gejammert, sie ist im Glauben gewachsen und dem Schöpfer nur umso näher gekommen. Ich hatte mich mal gefragt, ob sie immer so war, denn sie war schon über 50, als ich geboren wurde. Heute denke ich, dass ihre Einstellung ein Produkt dessen ist, dass sie immer wieder rückwirkend gesehen hatte, wozu das alles sein musste. Das hat ihr Vertrauen in den himmlischen Vater immer wieder gestärkt und gefestigt.
Jeder kann für sich selbst überlegen, „wo waren und sind für mich solche Situationen?“ und uns dann dazu entschließen zu sagen „mach, wie du denkst“.
In dieser Hinsicht haben wir ein gutes Beispiel in Jesus Christus. Er wusste bereits, bevor er auf die Erde kam, was ihm bevorstand – und er kam trotzdem, aus Liebe zu uns sündigen Menschen. Wir alle kennen die Szene im Garten Gethsemane, wo er vor seiner Verhaftung innig zum Vater betet „nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“
Kommen wir wieder zu der Szene mit Joseph und seinen Brüdern zurück. Er macht keine Vorwürfe, er nimmt ihnen sogar in gewisser Hinsicht die Schuld und somit das schlechte Gewissen. Es sind noch 5 weitere Jahre, an denen die Hungersnot im Land wüten wird. Gut, dass er hier in Ägypten ist und helfen kann. Ohne ihren Verrat und Verkauf hätten sie jetzt ein Problem (Kapitel 44:6-8)
Und jetzt, nachdem dies alles geklärt ist, fällt er ihnen um den Hals. Kein Vorwurf, kein Groll, kein ängstliches Zurückhalten mehr. Wie müssen sie sich da gefühlt haben?
Wir lesen die letzten Verse: 16 bis 28
Joseph erzählt dem Pharao von seiner Familie und dieser lädt alle ein, in Ägypten zu wohnen.
Wie reagiert Jakob, als er hört, dass sein geliebter Sohn noch lebt? Er kann es nicht glauben, denn „das geht ja garnicht“! Hatte er nicht selbst das blutverschmierte Gewand von Joseph in den Händen gehalten? Wie konnte er da noch leben? Er wird sich ja kaum in der Wildnis ausgezogen und sein Oberkleid vergessen haben…
Nun müssen die Brüder Farbe bekennen. Wie werden sie ihm wohl sagen, was passiert ist, welchen Anteil sie selbst daran hatten?
Und wie mag der Vater reagiert haben? Ob er sie daran erinnert, dass sie selbst doch gekommen waren, um ihn zu trösten? Wie konnten sie dies tun in dem Wissen, dass Joseph noch lebt?
Ob der Vater ihnen vergeben kann?
Sie erzählen ihm alles, was Joseph gesagt hatte, dass er ihnen vergeben hatte und dass er der Meinung ist, dass alles so kommen musste: „in Wirklichkeit hat Gott …“
Aber warum wollte Gott, dass sie nach Ägypten ziehen? Das verheißene Land lag doch ganz woanders …
Zum einen ging es um die Linie des Samens. Wir erinnern uns an 1. Mose 3:15. Rings um das Volk herum lebten Menschen, die anderen Göttern und Götzen dienten. Sie waren die einzigen, die den Schöpfergott anbeten und das Volk sollte rein bleiben. Das war der Grund, warum Abraham seinen Diener nach Haran sandte, um eine Frau für Isaak zu besorgen (Kapitel 24), ebenso wie Jakob sich dort eine Frau suchte (Kapitel 28).
Aber nach der Flucht vor Laban und dem Streit gab es eine Vereinbarung, dass Jakob und seine Nachkommen das Land nicht mehr betreten durften, daher nahmen sie sich Frauen aus ihrem Land (Kapitel 31:51-53). Denken wir an Juda, der für seinen Sohn eine Frau von den Kanaanitern nahm (Kapitel 38). So vermischten sie sich mit den Bewohnern des Landes und die Gefahr, dass die wahre Anbetung verwässert würde, war nicht zu unterschätzen. Denken wir nur an Salomo, der durch seine vielen heidnischen Frauen dazu verführt wurde, nebenbei ebenfalls den anderen Göttern und Götzen zu dienen.
Zum anderen hatte es mit der Prophezeiung zu tun, die Gott Abraham gab:
„Da sagte Gott zu ihm: »Ich vertraue dir jetzt etwas an, das in der Zukunft geschehen wird: Deine Nachkommen werden in einem fremden Land unterdrückt. Sie arbeiten dort als Sklaven – vierhundert Jahre lang. Aber ich werde das Volk bestrafen, das sie dazu gezwungen hat. Mit großen Reichtümern werden sie von dort wegziehen; nach vier Jahrhunderten kehren sie in das Land Kanaan zurück. Bis dahin leben die Amoriter in diesem Land, denn sie sind noch nicht reif für das Gericht. Du selbst wirst ein hohes Alter erreichen, in Frieden sterben und begraben werden.«“ 1. Mose 15:13-16 HFA
Es ging also darum, dass die Zeit noch nicht reif war, dass die bisherigen Bewohner des Landes vertrieben werden sollten, noch gab es keinen ausreichenden Grund, der dies rechtfertigen würde. Solange duldete Jehova sie auch weiterhin im verheißenen Land.
Hier beginnen also die 400 Jahre Fremdlingsherrschaft, die Jehova Abraham verheißen hatte.
Wir sehen, heute drehte sich alles um das Thema „Vergebung“ und „Vertrauen auf Gott“. Wir müssen auf Gott vertrauen und warten, dass Gott endlich das tut, was er verheißen hat.
Nächste Woche lesen wir 1. Mose 46:1-47:11 und sehen Jakob und seine Familie nach Ägypten ziehen. Wie geht es mit Joseph und seiner Familie weiter? Es bleibt auch weiterhin spannend ?
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